Ungewohnte Töne
zur Lyrik Pius Strassmanns 


Sprache und Musik sind für ihn beides: heilende Kräfte und Mittel des Ausdrucks. Pius Strassmann schöpft aus ihnen Energie und Inspiration; zugleich macht er sie zu seinem Werkzeug – überzeugt, oder zumindest in der Hoffnung, sie würden so wiederum anderen ihre heilende Kraft weitergeben: 

Suche nach Gold nicht
suche nach Erde 

Ich will dir Erde sein 

Pius Strassmann ist ein virtuoser und gleichzeitig tiefsinniger Blockflötenspieler, ein Interpret komponierter Stücke und ein begabter Improvisator, im Zusammenspiel mit anderen und auch als Solist. 
Der ausgebildete Lehrer, der nach wie vor von pädagogischem Eifer durchdrungen ist, vermittelt Musik nicht nur im Konzert: Er erteilt Blockflöten- und Klavierunterricht, arbeitet als Stimmbildner, verbindet Kinesiologie mit Musik. Alles ist von Musik durchdrungen: 

Was klingt wird Welt
sichtbarer Atem
Luft singt
Himmel reisst auf
Was Welt wird
klingt 

Ähnlich wie Pius Strassmann mit Musik umgeht, beschäftigt er sich auch mit der Sprache: virtuos und tiefsinnig, Botschaften vermittelnd. Seine Handhabung der Sprache erinnert ans Improvisieren in der Musik. Hier wie dort erklingen ungewohnte Töne, die sein Publikum nicht selten fordern und herausfordern. Doch alles ist wohlgesetzt, nicht einfach Laune des Augenblicks - auch nicht beim musikalischen Improvisieren -, sondern Ergebnis der harten Auseinandersetzung, des künstlerischen Ringens. Auch gegenüber sich selbst ist Pius Strassmann äusserst kritisch und anspruchsvoll. 
Erstaunlich: Obwohl ihm die Musik bestens vertraut ist, ihm Lebenselement bedeutet, kommt in seinen Gedichten das Klangliche nur sporadisch zum Ausdruck, des öfteren jedoch das Nicht-Klangliche, die Stille, das Verstummen, das Schweigen. 
Ähnlich findet sich in seinen Texten die Welt des Nicht-Lichts, des Dunklen und Schwarzen, des Nicht-Orts, der „nie bewohnten Höhle“, der „versunkenen Welt“, des „eingestürzten Hauses“, der Nicht-Zeit und auch des Fremdseins, der Einsamkeit, der unerfüllten Beziehung: 

Ich fühle
was dich so quält:
Dass ich dich liebe
– und du mich nicht 

Schon der Lehrerstudent am Seminar im luzernischen Hitzkirch, wo Pius Strassmann aufwuchs und die Schulen besuchte, liebte den sprichwörtlichen Seetaler Nebel, der die Landschaft in ein Dämmerlicht, in ein Grau einhüllt und die Geräusche dämpft. Bereits damals gab der an der Welt und an den Menschen Leidende seinen Gefühlen in Gedichten Ausdruck. Und bezeichnend: Am Ende seiner Lehrerausbildung legte er eine Diplomarbeit vor, für die er Gedichte zum Thema Nacht gesammelt und interpretiert hatte. 

Trotz alledem: Pius Strassmann bleibt nicht bei dieser Welt des Nicht-Seins. Immer von Neuem findet er Grund, Halt, Hoffnung, sucht das „Sinnlose“, das „Ortlose, Grenzenlose, Ahnungslose“ zu überwinden, rafft sich auf zu Gegenentwürfen, „ruft hellere Farben hervor“, „schläft gut“, „steht leichtfüssig auf“, fordert das Du auf, „Behausungen bewohnbar zu machen“. Er, sich immer auch als Lehrer verstehend, appelliert, fordert zum Aufbruch auf. 

Die Schilderung des Übels und Leidens, des Beschwerlichen und Unerfreulichen und ihrer Überwindung ist so intensiv und eindringlich, so beschwörend und bildhaft, dass ich mich beim Lesen seiner Gedichte oft an die alttestamentlichen Propheten erinnert fühle, die ja der Rettung auch immer noch eine kleine Chance lassen. 

Es kann nur Lehrer sein, wer auf die Eigenheiten eines jeden Menschen einzugehen gewillt und fähig ist. Und es sind genau diese individuellen Charakteristika, die Pius Strassmann faszinieren: Hinter fast jedem seiner Gedichte steht ein bestimmter Mensch, oft auch eine konkrete Begebenheit. 

Pius Strassmann hat sie jedoch so in Worte gefasst, gibt sie so verknappt und verdichtet wieder, dass seine Texte dieses individuellen Bezugs nicht mehr bedürfen, ihm enthoben sind. Sie sind zum Gedicht geworden. 

Markus Diebold