eppingen veranstaltete die bundesgartenschau im jahr 22, was nun, im jahr 23, zur folge hat, dass die anlagen, die für besagte bundesgartenschau im jahr 22 gebaut worden waren, der heimischen bevölkerung weiterhin zur verfügung stehen: ein kleiner künstlicher see, mit holzstegen die zum sitzen einladen, mit vermutlich heimischem holz gebaut (dessen schon in der planungsphase versprochene anwendung vermutlich die ansässige bevölkerung überzeugte, als einer vieler faktoren, der bundesgartenschau 22 zuzustimmen), breitet sich aufs schönste und nahe des bahnhofs aus. ein hübscher kiosk auf dem gelände bietet linsensalat, wurst & brot, kuchen und getränke an. von der möglichkeit, sich zu verpflegen, wurde am tag unseres besuches, an einem ungewöhnlich warmen septembertag, von insbesondere älterem publikum und von rad-touristen rege gebrauch gemacht.

wir liefen durch gassen und strassen eppingens, das allerdings etwas hermacht, insbesondere durch fantasievolle riegelbauten, die sich von haus zu haus unterscheiden, als folge eines kreativen und nicht in massenware beschränkten denkens. die katholische kirche, eisenkreuze auf dem friedhof, war abgeschlossen, vermutlich, weil sich in eppingen die erkenntnis durchgesetzt hat, dass beten keinen sinn mehr habe: es sei zu spät. soviel modernität hätte ich dem lauschigen städtchen, welches damals dem führer als erster ort deutschlands und freiwillig das ehrenbürgerrecht gewährte, nicht zugetraut. ein dorf musste ja vorangehen, damit all die andern, unzähligen, nachfolgen konnten. aber eppingen steht für diese verleihung, die heute praktisch keinem mehr recht ist, mit seinem namen, was zeigt, dass erste zu sein im verlaufe der geschichte nicht immer eine erfreuliche sache bleibt.

in der hauptgasse plötzlich viele menschen, vermutlich syrer, menschen aus afghanistan, ukrainerinnen. wir vermuteten ein volksfest, es war aber die tafel, an der die leute sich mit lebensmitteln eindecken konnten. aus tafelgründen, könnte man sagen, herrschte in eppingen, wo keine deutsche seele sich blicken liess, ausgesprochen gute stimmung. nur hundert meter weiter die buchhandlung, die vor dem laden unter ausladenden sonnenschirmen ein etwa acht esstische umfassendes antiquariat betrieb, mit einem schild versehen:  „alle bände auf diesen tischen kosten einen euro  - die gelder aus dem verkauf gehen vollumfänglich zu gunsten der tafel.“ nach der sache mit dem peinlicherweise verliehenen ehrenbürgerrecht, war diese aktion nun doch eher dazu geneigt, sich freunde zu schaffen und den namen eppingen auf lange zeit mit gelebter menschenfreundlichkeit zu verbinden.

ich schaute mich um und fand erstaunlicherweise einen tisch auf dem sich fand: leiden und freuden eines schulmeisters - in zwei bänden, jeremias gotthelf, homo faber - max frisch, das glasperlenspiel - hermann hesse, novellen - c.f. meyer, aber auch bände diggelmanns, nizons, burgers schilten und ein band von laure wyss, welche hier die noble aufgabe hatte, die frauen der schweizer literatur ihrer generation zu vertreten. jedes der bücher gebunden, oft in erstausgaben.

es stellte sich die frage, wie und weshalb diese bücher nach eppingen, der „fachwerkstadt mit pfiff“, wie sie das touristenbüro ausschreibt, gekommen waren. vermutlich, um eine mögliche these darzustellen, war vor kurzem ein allseits geschätzter gymnasiallehrer verstorben, der irgendwann im laufe seines berufslebens im deutschunterricht einen schwerpunkt setzte bei schweizer autor innen. für seine abschlussklasse. was nicht so gut wie erhofft angekommen war. und seine schweizer bibliothek, mit der er sich auf dieses projekt vorbereitete,  wurde nun hier verkauft, nach dem willen der hinterbliebenen gemahlin, die sich stets auch sozial betätigte, und vemutlich in diesem moment unter an der tafel salatköpfe und mehl für bedürftige eintütete, wie deutsche gelegentlich zu sagen pflegen.

ich frage Sie: pro buch ein euro! ist das nicht etwas wenig? und das in eppingen? bundesgartenschau 22 und ehrenbürgerrecht für adolf? ich fragte nach in der buchhandlung, ob sich die antiquariatsbände gut verkauften. „nein, nichts“, meinte die junge verkäuferin, „aber jeden tag das ganze raus- und reinschleppen gibt viel arbeit.“ so ist das mit den büchern. nicht nur beim schreiben geben sie arbeit, sondern auch beim anschliessenden, mühsamen, verkauf. es wäre schön, wenn autor innen sich dieses peinlichen umstands gewahr würden. eppingen lehrte mich: fasst euch kurz, wenn ihr euch überhaupt fassen wollt! beschreibt das papier eng, spart an unnötigen, oft einfach vermeidbaren, nebensätzen und sinnlosen, ausschmückenden, opulent gesetzten eigenschaftswörtern. ich wollte mich, bei der gelegenheit, nach einem buch ciorans erkundigen, aber im gleichen moment, in dem die verkäuferin fragte, wie man das schreibe, (einen tag später hatte man auch in speyer den namen cioran noch nie gehört, obwohl er gar von celan ins deutsche übersetzt wurde) rief mein begleiter von draussen, wir würden jetzt eis essen gehen auf der andern seite des platzes. so verzichtete ich auf die buchstabiererei und verabschiedete mich hastig. eis nimmt, vom ende her betrachtet, viel weniger platz ein als bücher. was bereits ein gutes argument für eis ist.

ja. so war das in eppingen. einblick in praktisch durchgehend menschliches, erfreuliches verhalten. das eis war grossartig, das eis aus dem eiscafé. von wo auch ein blick auf die tafel möglich war. eppingen. eingebettet in reizvolle landschaft zwischen odenwald und schwarzwald. es gibt schlimmere orte.

nicht nur in deutschland.

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Authorpius strassmann

zu berichten ist von einem konzert, das in seiner qualität, einzigartigkeit und tiefen emotionalität nicht nur in luzern beachtung hätte finden sollen, sondern weit über die schweiz hinaus.

allein: nicht nur in luzern, auch in zürich und bern wurde dem konzert wenig beachtung geschenkt, und es befanden sich nicht in jedem fall gleich viele besucherInnen im publikum, wie sich musikerInnen auf der bühne befanden. ich spreche von der markuspassion auf das erhaltenen textbuch picanders, das johann sebastian bach für die vertonung seiner verschollenen passion nutzte. nikolaus matthes, historisch ins detail informiert, (was sich den zuhörenden während der aufführung ohne jeden zweifel erschlOSS) hat diesen text neu komponiert - vollendet weit über das rein handwerkliche hinaus, in zarteste verästelungen von musikalität, architektur, tonartencharakteristiken und annähernd sensitiver emotionalität.

(exkurs: was luzern betrifft, von dem ich nun seit jahrzehnten kulturell verfolgt werde, war das ausbleiben einer vollen matthäuskirche nicht erstaunlich, sondern zu erwarten: hier gilt als kultur, was event ist, oder gerade noch haarscharf an demselben vorbeischrammt. selbst guggenmuusigen, sing-alongs mit bier und kinoevents mit dinner (auch wenn eigentlich dinner mit kino; aber öppis spannends; schon independent-filme, bewahr uns vor dem hühnervogel, kommen nicht in frage) nehmen für sich im vorauseilenden brustton der entrüstung fördergelder aus jedem erdenklichen fördertopf in anspruch. die verantwortlichen dergestaliger projekte stellen sich als zentrale exponenten des kulturellen lebens dieses lieblichen kantons vor, eines kantons, indem die svp soeben drei neue sitze im kantonsrat erobert hat. die kantonalpartei verkündet in ihrem parteiprogramm (leporello auf der parteieigenen webseite): „Kultur erhält die Traditionen der Schweiz und schafft Zusammengehörigkeit. Diese Form der Kultur braucht keine Subventionen.“ ungeachtet der tatsache, dass für schweizerische traditionen und ihre pflege in diesem land millonen an staatsgeldern ausgegeben werden, vermute ich, dass es sich umgekehrt verhält: dass alles, was nicht zu den traditionen der schweiz gehört, kultur ist, und dass alles, was nicht mehrheitsfähig an einer schwinget erlebt werden kann, (ich erinnere mich beispielsweise an ein grossartiges improvisationskonzert für drei präparierte spinette im mullbau luzern) dringend fördergelder braucht, soll unsere gesellschaft nicht vor die hunde gehen. klammer geschlossen - darüber wollte ich eigentlich nicht reden, es wäre aber ein fehler gewesen, es nicht zu tun. in einem staat mit millionen von menschen aus andern kulturkreisen kultur als  erhaltung schweizerischer traditionen zu definieren, ist nationalistisch und der anfang vom ende unserer vielschichtigen und über grenzen hinweg offenen gesellschaft.)

im musikalischen bereich: (das lucerne festival kann nicht als zur luzerner kulturszene gehörig betrachtet werden) eine vitale barockszene ist in luzern inexistent, wohl aber gibt es einige ensembles, die ihr musizieren als historisch informiert definieren. umso schlimmer: im falle der markuspassion, auf die ich zu sprechen kommen möchte, sah sich keine einzige zeitung, kein magazin, kein onlineformat am ort bemüssigt, auch nur eine zeile über die aufführung in der matthäuskirche zu schreiben. von radio- oder fernsehstationen will ich schon gar nicht reden: es gab ja kein dinner dazu, keinen film, keine guggerkostüme.

schlichtweg und deutlich gesagt: ein totalausfall der presseregion luzern.

folgendes: einige der besten musikerinnen und musiker der barockszene europas haben sich zusammengefunden, um dieses werk zu erarbeiten und aufzuführen: eine herausragende continuogruppe, einige der besten solistinnen und solisten im gesangsbereich, hocherfahrene und inspirierte instrumentalistInnen, wie traversos, blockflöten, gamben, celli, oboen, hörner, violen und violinen, (schon aufgrund der namen im programm hätte es der hiesigen presse dämmern müssen, dass aussergewöhnliches bevorstand) ein chor von enormer leistungsfähigkeit, changierend zwischen bach und atemberaubend modernen ausbrüchen - sie alle liessen sich auf das musizieren ohne netz ein, in äusserster empfindsamkeit und frische, angeleitet vom charismatischen dirigenten und komponisten nikolaus matthes.

zur komposition: das textbuch hat matthes von grund auf neu vertont. das polyphone geschehen, beim ersten hören ganz im stile bachs, weist weit über diesen hinaus, und eröffnet momente, die durch enharmonische verwandlungen, äusserste intensität der modulationen und die häufigkeit von trugschlüssen und andere verrückt-heiten, weit über die zeit bachs hinausweisen, das werk immer wieder als auch zeitgenössisches kenntlich machen. als würde bach heute rückwirkend eingreifen, bis zur demontage seiner ordnungsprinzipien ins fast zwölftönige, mit berührenden romantischen anklängen, grossen bögen, wilden, verzweifelten momenten. die ergriffen- und berührtheit des publikums war spürbar. als beispiele zu erwähnen in diesem zusammenhang sind die grosse arie für tenor solo und traverso, ein meisterwerk der verinnerlichung und meditation, der im wahrsten sinne des wortes todtraurige und hochemotionale schlusschor des ersten teils, der das zeug hätte, in die musikgeschichte einzugehen, die „kreuzige“- chöre, in denen schrecken und einsturz der mitmenschlichkeit, gerade auch im sinne der zeitgeschichte, hörbar werden, immer wieder die überreich harmonisierten choräle, in unfassbaren originalität, eben im stile bachs, und doch ganz und gar nikolaus matthes, das publikum keinen moment in falscher ruhe oder sicherheit belassend - und der grosse, versöhnliche siciliana-schlusschor, bei dem wohl allen, musizierend oder zuhörend, gefühle von trauer, verzweiflung, freude und versöhnlichkeit gleichzeitig durch herz und seele gingen.

die tiefe emotionalität dieser stücks ist wegweisend für die heutige musik, ganz und gar natürlich und zwingend. ich verweise auf den artikel roland zags: „aus der tiefe“ - vom schicksal der neuen musik im deutschsprachigen raum, lettre 140 (europas kulturzeitung) zufällig jetzt im märz 23 erschienen, in welchem er ausführlich die grossflächig fehlende emotionalität der neuen musik nach 1945 konstatiert, erforscht und die historischen wurzeln dieses mangels herleitet. auch auf grundlage der von ihm beschriebenen sachverhalte ist ein zeitgenössisches werk solcher dimension wichtig, da es erschüttert, aufwühlt, über tage weiterwirkt in der konfrontation mit einem uralten text, darüber, wie einer fertiggemacht wird, in konfrontation mit den stilmitteln bachs und dem aufbrechen derselben in die musik von heute, ohne nur einen moment in beliebigkeit abzugleiten oder den affekt barocker musik und die emotionalität, das seelische komplexe leben des modernen menschen aus den augen zu verlieren. zu dieser emotionalität gehört auch die farbigkeit der orchestrierung: cembalo, orgel, fagott, gamben, violen, kontrafaggot, tragen erheblich zu tiefe, vibration (fast möchte ich sagen: vibes) und boden, auch seelischem boden, bei.

dirigat: im wissen darum, dass vor ihm aussergewöhnlich kompetente fachleute sitzen und stehen, lässt matthes sein ensemble spielen, musizieren, singen, sich finden, sich verlieren, formieren, zu hochform auflaufen. hier wird nichts unterdrückt, sondern noch nach dem verklungenen schluss einer nummer eine bewegung in aller ruhe zu ende dirigiert - die bemerkenswerte, nicht zu verortende transzendenz dieser musik hat vielleicht auch mit der art des dirigierens zu tun: gemeinsam gehen wir durch diese passion, entdecken sie und lassen sie klingen. eine derart hochkomplexe partitur so logisch, sanft (fast möchte ich sagen: liebevoll) und kraftvoll zu musizieren ist grosse kunst, die man seinem ensemble nicht entreissen, sondern nur wachsen und gedeihen lassen kann. nikolaus matthes muss ein mensch sein, der nichts dem zufall überlässt in komposition, planung, vorbereitung, auswahl seiner leute - und der gerade darum im entscheidenden moment des musizierens loslassen kann, entstehen lässt, selbst das publikum wahrzunehmen scheint, mit den stimmungen des raums arbeitet.

die beiden evangelisten tragen wesentlich zur einzigartigkeit dieses passion bei. auch dies eine so wunderbar zeitgenössische idee: partnerschaftlich wird der für eine seele zu schwere stoff vermittelt, mit zwei verschiedenen stimmen und stimmungen, mitteilend: einer allein genügt nicht, nicht mehr, um das grauen unserer zeit zu erzählen, zu tragen. dass beide evangelisten auch arien singen, verstärkt die komplexheit dieser partitur im tiefenpsychologischen sinne.

wie weiter? zutiefst berührt, wohl nie mehr in der lage, eine passion bachs zu hören, ohne dass sie durch diese vertonung nikolaus matthes neu klingen würde, ebenfalls moderner, in ihren tiefen, im subkutanen, als noch tragischer kenntlich gemacht, und mir in diesem hinhören, hinsehen, emotionalen mitgehen eine warnung vor menschlicher bösartigkeit, weniger in der unfähigkeit zu trauern (a. und m. mitscherlich) gefangen, bin ich doch gleichzeitig bekümmert über die vollständig fehlende reaktion des öffentlichen kulturellen echo-raums. wenn das FBO im planetarium die jahreszeiten eines vivaldi (wir haben sie schon das eine oder andere mal gehört) für ARTE einspielt, mit dem nimbus der modernität ausgestattet, wäre es doch dringend, dass diese markus-passion für ARTE eingespielt würde, um sie einer breiten öffentlichkeit vertraut zu machen, da sie tatsächlich einzigartig und aufrüttelnd ist. SRF hätte gleichermassen den auftrag, diese produktion einzuspielen und zu senden, da sie zum bedeutenden fundus der musikproduktion der letzten jahre in der schweiz gehört. die passion müsste ebenso am bachfest leipzig erklingen, als kommentar zur bachforschung und zur musik bachs aus heutiger sicht. und von dort aus bekannt werden, für viele menschen zugänglich, um berührt zu werden und, daraus resultierend, berührbarer.

so bleibt mir nur eines: danke zu sagen! dem schöpfer dieses werks, nikolaus matthes, und allen, die diese musik für die welt zum klingen gebracht  haben - denn dass dieses werk nun existiert und aufgeführt wurde ist das allerwichtigste. bach selbst hat beispielsweise seine h-moll messe nie gehört. um wieviel besser steht es nun um dieses werk, die markuspassion von nikolaus matthes, das bereits aufgeführt, aufgenommen und von vielen gehört wurde. untergehen wird diese musik nicht mehr.

„…Musik. Du uns entwachsener / Herzraum…“ schreibt rilke in seinem gedicht: An die Musik.

dieser günstigste, zutiefst menschliche fall, dass musik sich manifestiert aus den tiefen unserer herzenskraft und unseres herzraumes, uns erschüttert und tröstet, ist mit dieser passion eingetreten.

pius strassmann, april 23


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Authorpius strassmann

ich darf sie im namen des catharina-consorts herzlich zu unserem konzert begrüssen.
neu dabei in unserem consort sind sabine stoffer und pierre-augustin lay,
die ich beide willkommen heisse.

sie hören heute zwei werke in voller besetzung, ansonsten wird in immer wieder
neu zusammengesetzen gruppen musiziert, in denen sich ein bestimmtes instrument vorstellt.

so werden sie  am schluss vielleicht, wenn wir alle zusammen spielen, eine beinahe sinfonische erfahrung haben, und das mit nur 6 musizierenden auf der bühne.

lassen sie mich über die langsamen sätze dieses abends reden.

im bereich der musik ist es meist der langsame Satz, der mich am tiefsten und nachhaltigsten bewegt. der an eigenes rührt, das in langer und wohl auch langsamer arbeit freigelegt wird.
so sagte es erika burkart, die einen gedichtband mit dem titel „langsamer satz“  veröffentlich hat.

bach, der meister des langsamen satzes, schafft in der langsamkeit weite räume, atemräume, seelisches beben in der ausgezierten rhythmik,
in der wir ankommen und uns ausruhen können.
in der violinsonate werden sie gleich zwei seiner langsamen sätze hören.

wie ist der langsame satz in der barockzeit komponiert?

in einer häufig genutzen form spielen die bass-instrumente,
heute sind das cembalo, orgel, cello,
gleichmässige achtel, die auch „walking bass“ genannt werden
und die „das schreiten des pilgrims im irdischen jammertal“ darstellen.

darüber nun ein soloinstrument, welches das strikte, das erwartete, auch den jammer des daseins, den zeitlich genauen verlauf auflöst, raum schafft und  wohltuende weite kreiert.

sie sind eingeladen, mitzugehen in dieser verwandlung des unausweichlichen,
die weiten innenräume zu entdecken, die sich über den achteln in ihnen auftun.

wer - möchte ich beinahe fragen - braucht da noch schnelle sätze?

nun, die kontemplation will genährt sein, der aufbruch in die aktion ist eine belebende sache. darum gefallen uns natürlich beide sätze - die langsamen und die schnellen.
so balanciert uns die musik in einem stets labilen gleichgewicht.

das labile gleichgewicht, meine damen und herren, ist schon viel, wenn wir die welt betrachten. möge es sich für uns und die welt im neuen jahr immer wieder einstellen.

wir freuen uns, dass sie hier sind, und wünschen ihnen eine wohltuende stunde
mit bach, händel und telemann.

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Authorpius strassmann

(trychelgetöse ein)

an der probe sagte ich zu meinem ensemble:
in diesem stück orlando di lassos,
fünfstimmig, wähle jede, jeder die tonart
die gerade so stimmt. die dich ankommt. dir gut-
tut. dur oder moll. indische modi. wies dir beliebt.
auch den rhythmus wähle du frei. natürlich
auch welche stimme, welche flöte - kein problem.
oder gar nicht spielen und pause machen!
einfach so, dass du spürst:
für dich ist es richtig. der rest ist egal.
da ist niemand. keine welt ausser deiner.
willst du dich von einem renaissance-stück
tyrannisieren lassen? von einem komponisten,
der im 16. jahrhundert lebte? du sollst
auch ein anderes stück spielen stimmigerweise
wenn du spürst, dass dies guttäte. DIR guttäte!
tätetäteräte! wir leben hier in einer demokratie!
stopp die DIKTATUR! verwirkliche dich!

(trychelgetöse aus)

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Authorpius strassmann

ich sehe mich veranlasst, mich von allen musikerinnen und musikern zu distanzieren, auch von jeder anderen branche, die die covid-massnahmen als gezielte aktion des staates zur verhinderung und liquidierung der kunst betrachtet: ich persönlich habe lieber ein konzert weniger als einen toten mehr.

was es weiter dazu zu sagen gibt, ist mir nicht klar. das abrutschen in totalitäre denkweisen und verstiegene theorien, auch wenn die ganze politik nicht schlüssig ist und fragen berechtigt sind, halte ich für gefährlich für das individuum, für den staat. das leben ist voller ungereimtheiten, ein denkender künstler, eine denkende künstlerin, sollte in der lage sein, jetzt zu priorisieren, und die eigene befindlichkeit in einen grösseren kontext einzuordnen.

jetzt gilt nur eines: massnahmen einhalten und sofort verstärken. ohne lockdown wird es nicht gehen. mit grosser wahrscheinlichkeit haben wir den dann mitte januar. dank all denen, die es jetzt immer noch nicht so schlimm finden. ich wünsche euch allen herzlich alles gute.

FROHE WEIHNACHTEN IN DER STILLE

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Authorpius strassmann

ich freue mich, nach diesem langen sommerunterbruch, den wir alle so dringend brauchten, die arbeit wieder aufzunehmen. viel glück uns allen im kommenden!

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Authorpius strassmann

lieber konzertbesucherinnen und konzertbesucher

wir möchten sie zu unserem konzert mit musik charpentiers dem komponisten,
der lieber maler werde wollte, ganz herzlich begrüssen.

ein ganz herzlicher dank gebührt den mitarbeitenden der „abendmusik zu st. katharina“,
die uns seit über 20 jahren -wir haben aufgehört, zu zählen- ein konzert am dreikönigs-sonntag ermöglichen. es ist immer wieder eine freude, diesen grossen klangraum in raumklang zu verwandeln.

ich möchte etwas kleines aus dieser musik mit ihnen bedenken: immer wieder schreibt charpentier in der mottete “in nativitatem canticum” h 416 anweisungen wie:

kurze stille
zwei takte stille
hier eine kleine pause

besonders auffällig im orchesterstück „nuit“ in der mitte des werks, das mit einer langen pause die absolute stille nacht zeichnet. oder er komponiert lange pausen wie im zweitletzten chor, zu folgendem text:

o kind du bist verletzlich
du weinst
du frierst
du bist voller liebe

wobei die letzte zeile, als schlussfolgerung aller misslichkeiten besonders berührt.

warum diese stille, dieses schweigen, dieses nichts? vielleicht die bitte, in uns nach antwort zu lauschen, und der musik in den weiten unserer seele heimat zu bieten?

wo stille herrscht
sei du die musik

wo alles verstummt
sei du das wort

wo dunkel dein auge löscht
sei du das bild

- womit wir wieder bei charpentier wären, der statt maler komponist wurde:
er ist doch maler geblieben.

ich wünsche uns allen von herzen ein konzert, das uns berührt, ein konzert der freude.

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Authorpius strassmann

die wäsche muss auch noch gemacht werden, sonst habe ich morgen nichts anzuziehen…und die dort, waren die nicht mal nachbarn?… langsam wird es warm, wir hätten die heizkörper doch nicht aufdrehen sollen… ob das ganze hier nicht zu lang wird…im moment sind die leute sehr beteiligt…bewegst du dich jetzt nicht etwas zu kompensatorisch zu dieser sonate?.. es könnte blöd aussehen… hoffentlich hat mein dogsitter daran gedacht, den hund auch zu füttern…

dann - irgenwann - all diese gedanken verzogen nach unbekannt - es bleibt das im klang sein - klang sein - es bleibt das versunkene, autonome system- der ablauf der musik - es bleibt jeder moment als fläche, ohne zeitlichen verlauf - motorische muster, die sich in klang verwandeln - die rückkehr in den saal am ende des konzertes - erschütterung - “bestürzten aufblicks” (rilke)

es bleibt die gewissheit, dass musik immer klingt, aber wir sie nicht immer hören.

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Authorpius strassmann

das gedicht zeigt sich dort am deutlichsten, am klarsten, wo der faszinierende, nicht aufzuklärende rest des textes uns berührt, uns keine ruhe lässt, sei dies in der bejahung oder in der opposition, in wohlsein oder unbehagen. diesen rest möchte ich auch im gespräch nicht zerstören. ich finde es stets anregend, vielfältigste und verschiedene deutungen zu hören. 

es geht nicht darum, das gedicht „richtig“ zu verstehen, sondern zu merken, was es mich, als leserin, angeht, was es in mir auslöst. es nimmt uns auf oder lässt uns draussen stehen. draussen. ein auch glücklicher ort.

als lyriker beanspruche ich keine deutungshoheit über meine texte.

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Authorpius strassmann